Seit zwei Jahren dürfen wir einen echt coolen Prozess mitgestalten. Die Wirtschaftsschule Thun steckte 2019 mitten im Veränderungsprozess im Zusammenhang mit der Einführung von Bring your own Device, für Lehrpersonen und Lernenden gleichermassen. Einige Lehrpersonen haben mit ihren Pilotklassen die ersten Erfahrungen gesammelt… alls guat ganga, doch wie machen wir das nun zu unserem Standard? Wie nehmen wir unsere Kolleginnen und Kollegen mit? Wie die Lernenden? Wie die LehmeisterInnen? Diese Cloud Welt ist doch eine rechte Umstellung. Auf vollständig digitale Schulunterlagen umszustellen für viele ein rechter Aufwand, oder doch nicht? Es sind letztendlich nicht nur zwei-drei Menschen von dieser Veränderung betroffen!
1. PHASE - WIR ORIENTIEREN UNS DIGITAL
So haben wir uns mit der Schulleitung und den ersten Pionieren getroffen, unsere Learnings reflektiert, unsere Wünsche geäussert, unsere Geschichte an unsere Kolleginnen und Kollegen zurechtgeschneidert, die nächsten Schritte festgelegt und damit eine Videobotschaft an alle Mitarbeitenden aufgezeichnet. Hier ein kleiner Ausschnitt des Schulleiters - Mier hets tröimt…
Wir haben gemeinsam den «Inside Out Approach» gewählt. Ein erprobtes Vorgehen, das auf die Stärken und das vorhandene Potenzial der Mitarbeitenden aufbaut. Eigentlich ganz simpel… Beat und Reto erklären, wie sie sich in der Zeitachse gegenseitig entwickeln und dabei ihre Kollegen auf ihrem Weg begleiten…
Und dann haben sie etwas aussergewöhnliches gemacht. Einfach so! Sie haben allen Lehrpersonen, die im neuen Schuljahr, neue Klassen kriegen, ein persönliches Surface Pro bestellt und ein gemeinsames Unpacking organisiert. Stellt euch vor, rund 25 Lehrpersonen, mit lüchtende Öigli, setzen ihr Gerät, gleich dazu ihre Klasse als Team und ihr Klassennotizbuch auf… miteinander Lernen ist angesagt. Die Pioniere zeigen wie sie das in ihren Pilotklassen gemacht haben, welche Erfahrungen sie gesammelt haben, was bei den Lernenden zieht und was nicht, wie man einfach und mit kleinem Aufwand, bestehendes Schulmaterial in die neue Umgebung bringt usw…
Reto, du warst einer dieser Pioniere… was heisst das aus deiner Sicht?
Ich verstehe mich nicht unbedingt als Pionier, sondern die Sache hat mich einfach von Anfang an inhaltlich gepackt. Ich habe gemerkt, dass man dank BYOD den Unterricht interaktiver und individueller gestalten kann, das hat mich fasziniert. Von da an habe ich mich für die Sache engagiert und vor allem abgeschaut, umgesetzt, verbessert, ausgetauscht, weitergegeben und wieder neu umgesetzt. Daraus haben sich diverse Initiativen in der Schule entwickelt: Strategieworkshops, interne Aus- und Weiterbildungen, Lernenden-Feedback, Götti-System, Work out Loud, Collaboration Plattform auf Teams und weitere, um nur einige Stichworte zu nennen. Wir konnten weitere Lehrpersonen mit dem Virus infizieren, vielleicht aktuell nicht das beste Ziel, welche die Idee weiterentwickelt haben, Forms Quizzes erstellen oder eigene Apps programmieren. Die Intensität des Gegenseitigen Austausches ist regelrecht explodiert und damit auch der Lerneffekt. Bereits ¾ Jahr nach dem Start hat sich leider dann dieses andere, das Corona-Virus, eingeschlichen. Da hat uns natürlich die Tatsache, dass wir bereits auf Office365 aktiv waren, massiv in die Karten gespielt. Innert kürzester Zeit konnten wir alle restlichen Lehrpersonen befähigen, Fernunterricht zu gestalten. Diese extreme Erfahrung hat uns aber auch darin gestärkt, dass das analoge gestärkt, der Austausch unter den Lernenden und den Lehrpersonen aktiv gefördert werden muss. Es bleibt also eine alltägliche Herausforderung nicht in eine digitale Konsumhaltung zu verfallen, sondern die Digitalisierung des Unterrichts als kreatives und verbindendes Element anzusehen. Unsere Lernenden helfen uns mit ihrem Feedback hier eine ausgewogene Mischung zwischen digitaler und analoger Schule zu finden. Allgemein sind wir ein Schritt näher an die Lebenswelt der Lernenden gerückt. Wir sind im digitalen Bereich für einmal nicht die Profis, die von Anfang an alles besser wissen, sondern können uns gemeinsam mit den Lernenden Schritt für Schritt weiterentwickeln.
Ja und dann kam alles anders… Lockdown! Vollgas Digital… Die Wirtschaftsschule Thun ist aber mehr als bereit. Auch die anderen Lehrkräfte kriegen notfallmässig neue Geräte und springen mit auf den fahrenden Zug auf. Ja es musste einfach sein, meint Dänu der Schulleiter, diese Massnahme hat uns ermöglicht unsere Schule auf ein solides Fundament zu stellen. Wir lernen miteinander, gestalten und entwickeln unsere Schule im Kollektiv. Auch die Lernenden haben ihren Anteil darin. Denn nach der ersten Welle kommen wir zusammen und reflektieren das Gelernte! Ruggero will unbedingt im Prozess eine Gruppe Lernende dabeihaben.
Gesagt getan… Ein Tag lang setzen wir uns mit der Art, wie wir uns digital aufgestellt haben, auseinander. Was ist gut, was können wir besser, welche Fähigkeiten brauchen wir noch? Am Morgen aus der Vogelperspektive. Die Lernenden in einer eigenen Gruppe, machen sich als Empfänger dieselben Überlegungen wie die Lehrpersonen als Sender. Am Nachmittag geht es dann in die Tiefe, die Lernenden teilen sich auf und mischen sich unter die Lehrpersonen. Und siehe da, der Outcome ist erstaunlich, denn der Wurm schmeckt dem Fisch und nicht dem Fischer. Die Inputs der Lernenden helfen uns die richtigen Entscheidungen zu fällen, um uns weiter zu verbessern, unsere Schule auf die Bedürfnisse der Betroffenen auszurichten! Das machemer wieder… hören wir als Feedback am Abend bim gmeinsame Bierli…
Peschä, du hast das Projekt von der ersten Stunde, mitgestaltet, mitgeprägt, ausgehalten, dich exponiert. Erzähl mal, wie war das für dich, wie haben es die Lernenden aufgenommen und wie hat das funktioniert mit dem «miteinander lernen» Vorgehen das Beat und Reto vorgestellt haben?
Wow! Die Aussage, dass die Lernenden eure BYOD Initiative so positiv wahrnehmen, da die digitalen Skills sonst gar nicht als Fach gelernt werden und doch wird es überall vorausgesetzt, hat es irgendwie in sich oder? Und, dass das Kernteam nun «wie drusgnah worde isch» zeigt, dass der «Inside Out Approach» den Beat und Reto vorgestellt haben, auch hier im Schulumfeld durchaus funktioniert! Merci Peschä für deinen Einblick, da zeigt es sich wiedermal, dass die Transpiration sich immer lohnt, persönlich aber auch für alle anderen Betroffenen!
Lassen wir doch noch den Chef sprechen. Dänu du bist der Schulleiter und du hast die ganze Initiative lanciert, unterstützt, die Rahmenbedingungen dazu geschaffen, Händli ghebed, aufgemuntert, mutige Entscheide gefällt. Wie hast du den gesamten Prozess erlebt?
Hehe, da spürt man den Pioniergeist und die Begeisterung Menschen zu bewegen. Ich finde es toll, dass die Mitarbeitenden diese Chance überhaupt gekriegt haben, in Selbstorganisation einen solchen Schritt zu machen und miteinander zu lernen. Määärci Dänu!
2. PHASE - DER RAUM ALS WEITERER TREIBER NEUER LERN- UND LEHRFORMEN
Was mir an der Wirtschaftsschule Thun besonders gefällt, ist die Offenheit sich auf etwas neues einzulassen, um sich damit im Kollektiv weiterzuentwickeln. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie durch den Corona Boost unsere Schule sich verändern wird und den Aspekt Raum in die Betrachtung mit einbezogen. Wie verändern sich unsere Lektionen? Wie die Räume? Wie bespielen wir das Dreieck Digital - Raum - Lehrform sinnvoll? Inspiriert von der Wirtschafts- und Kaderschule KV Bern haben wir uns etwas einfallen lassen.
Ich arbeite schon längere Zeit auch an der WKS in Bern und durfte schon oft die neuen Räumlichkeiten in 5. Stock and er Schwarztorstrasse 61 für den Unterricht einsetzen. Das ist eigentlich kein Schulzimmer mehr, sondern eine Lernlandschaft mit ganz vielen Möglichkeiten, sich einzurichten. Ich war schon immer fasziniert vom kreativen Grundrauschen in einer solchen Umgebung. Am meisten beeindruckt hat mich jeweils zu beobachten, wie die LehrerInnen ihren Unterricht intuitiv an die Umgebung anpassten, ohne dazu gezwungen zu werden. Eine solche Umgebung bietet viel mehr Möglichkeiten für einerseits Interaktion und andererseits Rückzug als ein klassisches Schulzimmer und die Befürchtung, dass die Lernenden und Studierenden weniger konzentriert arbeiten, bestätigt sich überhaupt nicht. Ich habe mir oft überlegt, wie wir diese Art Umgebung auch in der WST zum Leben erwecken könnten… Und tatsächlich, auf einmal ging es schnell…
Der Benchmark ist da! Wir sind nicht alleine mit unseren Gedanken und wir sind auch nicht die ersten. Da haben andere bereits vorgespurt! Das Gute daran ist, es funktioniert und es kommt bei den Lernenden und bei den Lehrpersonen super an. Nicht bei allen, aber das ist ja auch nicht nötig, wir wollen Möglichkeiten schaffen, Abwechslung, einen guten Mix von bestehend und neu, damit sich die Lehrpersonen und Lernende gleichermassen an neue Lern- und Lehrformen annähern können. So entwickeln wir uns letztendlich. Das Experiment ist die neue Strategie, sagt man so schön in agilen Kreisen.
Also haben wir mal ganz klein gestartet… Mit einem winzigen Raum im neuen Schulgebäude, das die Lehrpersonen für sich nutzen und einer angrenzenden kleinen Kaffee Ecke, in der sich die Lernende in den Pausen zurückziehen können. Aus dem Raum für die Lehrpersonen haben wir einen crativ Teacher Space gemacht. Ein Raum, in dem sich die Lehrpersonen austoben, direkt auf den Tischflächen und an allen Wänden visualisieren und Ideen schmieden können. Alles ist flexibel und multifunktional. In der Kaffee Ecke hingegen sollen sich die Lernenden einerseits zurückziehen, aber andererseits sich über Themen austauschen können, an der Wand visualisieren und so mit den ihnen gestellten Aufgaben ausbrechen. Der Aufwand war relativ klein, etwas Whiteboardfarbe, einige crativ Berinerhocker, es paar Böckli, zwei crativ Beta Blocks, e kli Ikea zum pimpe und scho simer ready ;)
Unsere Prototyping Elemente aus der Stube, die wir bereits gebaut hatten, haben wir in einen Transporter geladen und in einem halben Tag waren dann der crativ Teacher Space sowie die Rückzugsoase für die Lernenden schon bereit… Einfach und pragmatisch…
Mit dem Essen kommt dann der Appetit. Wir haben einen schön grossen Raum für die Lernenden im Hauptgebäude sagt mit Dänu… wettschen gseh? Ja und ihr könnt dreimal raten was das mit dem Crameri gemacht hat… Was wäre, wenn wir den umgestalten? Was wenn wir den Lernenden einen crativ Apprentice Space geben? Wir ihnen in der Klasse kurze Inputs geben, ihnen dann in Gruppen Vertiefungsaufgaben stellen, sie sich dann zurückziehen in ihren crativ Apprentice Space und dann nach einer halben Stunde ihre Überlegungen präsentieren und mit den Lehrpersonen challengen? Ja das ist das Resultat… zieh dir das Video rein vom crativ Apprentice Space an der WST gleich am Tage an dem wir ihn eingerichtet haben…
Scheinbar ist der Raum sofort in Beschlag genommen worden, die einen Lernenden hatten den Auftrag Poster zu organisieren und so wird der crativ Apprentice Space langsam, aber sicher zu ihrem Space… Wir sind nun gespannt wie sich dieses Experiment auswirkt und was wir da ausgelöst haben…
Lasst uns zwei Stimmen dazu anhören. Hellö Svenja, hoi Lukas ihr sitzt hier in unserem crativ Apprentice Space, was gefällt euch an diesem Raum besonders? Was sagt das über die Schule aus? Wie kommt das bei euch Lernenden so an?
Wie ihr seht, mit der Phase 2 sind wir noch ganz am Anfang und wir geben uns auch die entsprechende Zeit damit zu lernen. Es bringt nüt am Gras z’zieh damits schneller wachst. Nun mit allen neuen Verhältnissen die wir geschaffen haben, wird sich auch unser Verhalten bezüglich neuen Lehr- und Lernformen automatisch anpassen. Die Ersten Lehrpersonen versuchen neue Wege mit ihren Klassen, lernen, teilen es mit den Anderen, einige tun es ihnen gleich und es etabliert sich einfach eine neue Lehr und Lernkultur!
WETTSCH AU SELBER MACHA?
Normalerweise bauen wir ja nicht Möbel. Hier haben wir es als Prototyp gemacht und weil es auch eine willkommene Abwechslung in der Pandemie Zeit war. Dafür haben wir Bauanleitungen gezeichnet, ausprobiert, Fehler gemacht und gelernt. Die Bauanleitungen findest du übrigens hier auf unserer Website zum Download, gratis und franko. Wir denken, dass wir viel mehr vor Ort mit den Leuten selbst machen können, wenn es gut vorbereitet ist. Das Zusammenbauen an und für sich ist nicht so ein Sache. Wir werden künftig einen guten Mix machen von bereits zusammengebaut, miteinander bauen und gemeinsam einrichten… Das zusammenbauen überlassen wir ab jetzt der Stiftung palme.ch die kognitiv beeinträchtigten Menschen Wohn-, Arbeits- und Ausbildungsplätze anbietet. So schliesst sich der Kreis.
Wir haben das Zusammenbauen der Berlinerhocker zum Beispiel auch schon in verschiedensten Workshopformaten eingesetzt. Ein leerer Raum und alle mussten zuerst ihren eigenen Hocker bauen, ein Hochbauamt inklusive Kantonsbaumeister oder ein Staatssekretariat bis hin zum Regierungsrat miteinander am Schrauben. Eine halbe Stunde Spass und richtiges Miteinander, die Lernende hilft der Anwältin, die Zeichnerin arbeitet mit dem Hauswart usw… guckste hier, sehr empfehlenswert, total einfach und pragmatisch doch mit grossem Spassfaktor und prägend für den Teamgeist. Zuletzt haben alle etwas zum Mitnehmen, also ein bleibendes Erlebnis…
In diesem Sinne, dieser Impuls mit der Wirtschaftsschule Thun soll animieren, sich mit den eigenen Verhältnissen auseinanderzusetzen, um damit neues Verhalten nachhaltig zu unterstützen. Ja und wennt es paar Idee bruchsch, denn weisch wo go nachefrage ;)
Viel Spass beim Experimentieren
Dänu, Reto, Beat, Peschä, Chrigu, Svenja, Lukas & Ruggero
Artikel EINBLICKE - OKTOBER 2021